In der russisch-orthodoxen Tradition war es nie üblich, Denkmale in Form von Statuen aufzustellen. Stattdessen sollten Kirchen und Klöster als Baudenkmale historische Ereignisse im kollektiven Gedächtnis bewahren. Einerseits gedachte man mit dem Patrozinium der Gotteshäuser bestimmter Episoden der Evangelien und der Kirchengeschichte. Andererseits riefen Kirchen in der Kiewer Rus und in Russland auch Geschehnisse der Landesgeschichte ins Gedächtnis. Nach einem erfolgreichen Feldzug oder einer siegreichen Schlacht wurde als Dank eine Kirche erbaut oder ein Kloster gestiftet. Bei der Geburt eines Erben in der Zaren- oder Fürstenfamilie wurde ebenfalls eine Kirche oder Kapelle gegründet. Nach einem Todesfall wurden große Geldsummen gespendet, um des Verstorbenen im Gebet zu gedenken. Damit wurden laufende Geschehnisse von den Ereignissen der Evangelien begleitet, so dass die sakrale und die weltliche Geschichte in Russland eng miteinander verknüpft waren. Da Kirchen als Heiligtümer verehrt wurden, sind sie heute viel besser als säkulare Bauwerke erhalten.
Das älteste, ehrwürdigste Zeitzeugnis in der Nähe von Moskau ist die Mariä-Entschlafens-Kathedrale von Swenigorod. Die Kathedrale steht auf einem hohen Hügel, auf dem die erste Stadtfestung gebaut wurde und von dem die Stadt ihren Ursprung nimmt, wird aber heute vom Westen, Norden und Osten von bewaldeten Anhöhen verdeckt und ist von tiefen Gräben umgeben. Von der vielbefahrenen Straße, die zwischen dem Fluss Moskwa und dem Hügel verläuft, ist die Kirche nicht zu sehen. Vom südlichen Flussufer, aus dem Vorort Werchni Possad oder von der Straße bei den Dörfern Schichowo und Luzyno, bietet sie jedoch eine beeindruckende Ansicht. Von weitem ist der hohe weiße, von einer Helmkuppel gekrönte Tambour der Kirche zu sehen. Erhaben blickt die Kathedrale von der Anhöhe auf das Flusstal hinunter.
Was ist an diesem dezenten Bauwerk so besonders? Mit welchen historischen Ereignissen steht die Kathedrale von Swenigorod in Verbindung?
Diese Frage lässt sich nur beantworten, wenn man sich mit der Zeit, in der die Kirche erbaut wurde, auseinandersetzt, und sie als ein Exempel der altmoskauer Baukunst betrachtet.
Der Begriff altmoskauer Baukunst bezieht sich auf die Menge der erhaltenen und zerstörten Baudenkmale des Moskauer Großfürstentums, deren Bauzeit in die Bildungsphase des zentralisierten russischen Staates um Moskau fällt. Die altmoskauer Architektur spiegelt einen bedeutenden Abschnitt der russischen Geschichte wider, in dem die politischen Leitziele der Großfürsten einerseits in der „Sammlung der russischen Erde“, das heißt der Vereinigung von zersplitterten Kleinstaaten, andererseits im Unabhängigkeitskampf gegen die Goldene Horde bestanden. Die Ursprünge des heutigen russischen Staates gehen in vielerlei Hinsicht auf diese Zeit zurück.
Die Epoche der altmoskauer Architektur umfasst eine Zeitspanne von anderthalb Jahrhunderten. Der Beginn dieser Zeit wird vom Bau der ersten Moskauer Mariä-Entschlafens-Kathedrale 1326–1327 markiert. Als Ende der Epoche gilt die Zerstörung der zweiten Mariä-Entschlafens-Kathedrale des Moskauer Kremls im Jahre 1474.
Aus den ersten Jahrzehnten der Epoche ist äußerst wenig erhalten, so dass nur bei Ausgrabungen entdeckte Kirchenfundamente über die frühe altmoskauer Architektur Zeugnis liefern können. Dabei handelt es sich vor allem um Funde auf dem Gelände des Moskauer Kremls, das heißt Fundamente der Mariä-Entschlafens-Kathedrale von 1326, der Erzengel-Michael-Kathedrale von 1333, der Johannes-Klimakos-Kirche von 1329 und der Erlöserkirche im Walde von 1330, Überreste der kleinen Mariä-Verkündigungs-Kirche und das Untergeschoss der Mariä-Geburt-Kirche von 1393. Weitere Zeugnisse befinden sich im Umkreis der Stadt Kolomna, wie das Fundament der Mariä-Entschlafens-Kathedrale von Kolomna (1379–1382), Fragmente der Kirchen in Bobrenewo und Staro-Golutwino und die Johannes-der-Täufer-Kirche in der alten Siedlung Gorodischtsche nahe Kolomna. Chroniken zufolge wurden in dieser Zeit allerdings mindestens 17 Steinkirchen erbaut. Dazu gehören auch nicht erhaltene Bauwerke: die Kathedrale des Tchudow-Klosters mit einem Refektorium (1365) und die Kremlmauer aus weißem Stein, die Fürst Dmitri Donskoi 1367 errichten ließ.
Die gänzlich erhaltenen Bauwerke der frühen altmoskauer Architektur stammen aus dem späten 14. und dem frühen 15. Jahrhundert. Dazu gehören die Mariä-Entschlafens-Kathedrale von Swenigorod (1390er Jahre), die zum Sawwa-Storoschewski-Kloster gehörende Mariä-Geburt-Kathedrale (erstes Viertel des 15. Jahrhunderts), die Dreifaltigkeitskathedrale im Kloster der Dreifaltigkeit und des Heiligen Sergius in Sergijew Possad (1422-1433) und die Erlöser-Kathedrale im Andronikow-Kloster in Moskau (zwischen 1410 und 1427). In dieser Zeit wurden auch weitere Kirchen erbaut, die nicht erhalten sind, wie die Mariä-Entschlafens-Kathedrale des Simeon-Klosters (1405), die Kathedrale des Himmelfahrts-Klosters (1407) und die Verkündigungs-Kathedrale (1416) des Moskauer Kremls sowie die Verkündigungs-Kirche in Dorogomilowo.
Somit sind von ursprünglich zahlreichen Bauwerken des Fürstentums Moskau nur zwei Kirchen in Swenigorod sowie jeweils eine Kirche in Sergijew Possad und in Moskau gut erhalten. Dabei werden die ersteren drei Kirchen mit dem Fürsten Juri Dmitrijewitsch, der bemerkenswertesten Persönlichkeit in der Geschichte von Swenigorod, in Verbindung gebracht. Fürst Juri schuf eine Grundlage, die für die weitere Entwicklung von Swenigorod bestimmend war. Er ließ die Festung wieder aufbauen, die 1382 von Chan Toktamischs Heer zerstört worden war und einen wichtigen Vorposten des Fürstentums Moskau im Westen darstellte, und gründete eine der bedeutendsten Stätten des geistigen Lebens im Moskauer Umkreis, das Kloster von Swenigorod. Dazu lud er den Ehrwürdigen Sawwa, einen Schüler des Klostergründers und Einheitsstifters Sergius von Radonesch, nach Swenigorod ein. In der Stadtmitte und in der Nähe des Klosters ließ er zwei Kathedralen erbauen, die heute zu den ältesten erhaltenen Architekturdenkmalen der Moskauer Rus gehören.
Die zweite Hälfte des 14. und die erste Hälfte des 15. Jahrhunderts markieren eine Hochphase in der Geschichte der heutigen Provinzstadt Swenigorod. Zu keiner anderen Zeit spielte die Stadt landesweit eine so bedeutende Rolle wie damals, als sie in den Urkunden der Fürsten Iwan Kalita (1331, 1339), Iwan des Sanften (1358) und Dmitri Donskois (1389) Erwähnung fand. Gemäß diesen Urkunden wurde die Stadt stets dem zweitältesten Sohn des Großfürsten als Lehen (udel) übergeben. Diese Blütezeit Swenigorods unter Fürst Juri, die für die gesamte Stadtgeschichte prägend war, ist in zwei einzigartigen Kathedralen, der Mariä-Entschlafens- und der Mariä-Geburt-Kathedrale, verkörpert. Dabei konnte die Stadt, die bald ihre Unabhängigkeit verlor und später wirtschaftlich und politisch unbedeutend wurde, im Unterschied zu Moskau und anderen Zentren des Großfürstentums ihre bemerkenswerten Denkmale der altmoskauer Baukunst erhalten. Die Herrscher von Moskau, der Hauptstadt des Großfürstentums und später des Zarenreiches, die den ehrenhaften Titel des „Dritten Roms“ trug und den majestätischen Status der „Nachfolgerin“ von Konstantinopel besaß, fanden die alten, dezenten Bauten der ersten Fürsten unpassend. Daher ließen sie diese leichtherzig umbauen oder niederreißen, um sie durch monumentalere Bauwerke zu ersetzen. Swenigorod hatte dagegen als eine kleinere Stadt, die nicht mehr das Zentrum eines Teilfürstentums bildete, keine Ressourcen, um die alten Kirchen umzubauen oder auch bloß zu renovieren.
So verlor Swenigorod zwar seine politische Bedeutung, stieg dadurch aber Jahrhunderte später zu einer „Kulturhauptstadt“ der altmoskauer Baukunst auf.
Mitte des 17. Jahrhunderts schien Swenigorod eine neue Blütezeit zu erleben, als Zar Alexej Michailowitsch dem Sawwa-Kloster besondere Beachtung schenkte. Die Gunst des Zaren erstreckte sich aber lediglich auf das Kloster, während die Stadt sie kaum zu spüren bekam. Der Zar zollte damit indirekt jener großen Epoche Tribut, als der Sohn des Fürsten Dmitri Donskois in Swenigorod herrschte und Schüler des Hl. Sergius, Sawwa Storoschewski und Andrej Rubljow, dort tätig waren.
In letzter Zeit wird in pseudowissenschaftlichen Werken die Meinung geäußert, dass Swenigorod in diesem wichtigen Abschnitt der Stadtgeschichte einen Gegenspieler zu Moskau darstellte und dass diese Stadt die besten Chancen hatte, den Titel des „Dritten Roms“ zu übernehmen. Diese Äußerungen sind unbegründet und halten keiner Kritik stand. Zeugen denn die erhaltenen Baudenkmale von Swenigorod von einer politischen Konkurrenz zu Moskau? Wollte etwa der Fürst von Swenigorod, der seinem Neffen das Fürstentum von Moskau streitig machen wollte, die Bedeutung Moskaus als Hauptstadt untergraben?
Boris Ognew, ein namhafter Forscher, dessen Promotionsschrift zu der altmoskauer Baukunst in letztem Jahr vom Swenigoroder Museum für Geschichte, Architektur und Kunst veröffentlicht wurde, vertritt die Meinung, dass Fürst Juri zu der Zeit, als die Kirchen von Swenigorod erbaut wurden, keinen Grund hatte, seine Ansichten der Ideologie des Moskauer Großfürstentums gegenüberzustellen, so dass sein Architekturgeschmack als Stifter dem vorherrschenden Moskauer Geschmack entsprechen musste. Somit entstammen die Kirchen, die der Fürst in Swenigorod erbauen ließ, nicht einem lokalen Architekturstil, sondern entsprechen der Bauweise, die auf dem Gebiet des Fürstentums Moskau damals üblich war. Das Hauptargument für diese These ist die große Ähnlichkeit von zwei Kirchen, der Mariä-Entschlafens-Kathedrale in Swenigorod und der Mariä-Geburt-Kirche im Moskauer Kreml, die Jewdokija, Ehefrau des Fürsten Dmitri Donskoi und Mutter des Fürsten Juri, 1393 erbauen ließ und die teilweise erhalten ist. Es besteht kein Zweifel daran, dass die beiden Kirchen von einer Gruppe von Architekten erbaut wurden und dass es die besten Baukünstler ihrer Zeit im Moskauer Fürstentum waren.
Nach einvernehmlicher Meinung der Forscher weist die Mariä-Entschlafens-Kathedrale von Swenigorod als das älteste der vollständig erhaltenen Bauwerke Moskowiens eine einzigartige Architektur auf. Da Moskau kulturell und politisch Nachfolgerin des Fürstentums von Wladimir und Susdal war, wurden auch Normen der Baukunst des 12. und 13. Jahrhunderts aus Wladimir übernommen. Die Kathedrale von Swenigorod verknüpft dabei die Bautraditionen von Wladimir und von Moskau, da sie sowohl Elemente aufweist, die aus der Architektur von Wladimir und Susdal stammen und bei anderen Moskauer Denkmalen fehlen, als auch neue Handgriffe zeigt, die von Moskauer Baukünstlern wahrscheinlich an nicht erhaltenen Kirchen erprobt worden waren. Ognew beschreibt mehrere innovative Lösungen, die beim Bau der Kathedrale angewandt wurden. Da die Mariä-Entschlafens-Kathedrale die kleinste Kirche unter allen erwähnten Sakralbauten der altmoskauer Architektur ist, versuchten die Baukünstler, den Betrachter zu täuschen und den Eindruck eines größeren Raumes entstehen zu lassen. Daher wurde der für Kreuzkuppelkirchen traditionelle symmetrische Aufbau aufgelöst: Der Altar wurde durch eine Verbreitung der Apsiden vergrößert, gleichzeitig wurde durch die Verschiebung der östlichen Innenpfeiler sowie des Tambours nach Osten mehr Platz für die Gläubigen geschaffen. Diese Veränderungen führten dazu, dass die äußere und die innere Gliederung der Kirche nicht mehr übereinstimmten, was allerdings nur für Experten sichtbar ist und Laien nicht auffällt. Eine weitere Besonderheit, die Erhebung der Kirche auf einem etwa 1,5 m hohen Sockel, wurde in allen später gebauten Moskauer Kirchen übernommen. Das dritte täuschende Element, die Verjüngung mehrerer Teile des Bauwerks – des viereckigen Zentralbaus, der Apsiden und der Trommel – lässt die Kirche höher aussehen. Für die optische Gliederung des Bauwerks in zwei Geschosse sorgen nicht, wie in Wladimir und Susdal, Blendarkaturen, sondern ein Muster aus drei waagerecht geschnitzten Bändern; die Abschließung des Daches wirkt durch eine Reihe von Kokoschnik-Ziergiebeln um den Tambour raffinierter. Die wohl wichtigste architektonische Besonderheit der Mariä-Entschlafens-Kathedrale ist jedoch die meisterhafte, subtile Steinmetzarbeit, an deren Niveau nachfolgende Bauwerke nicht heranreichen. Die gekonnte Kombination der inneren und äußeren Formen, ihre durchdachte Verknüpfung und die Einordnung von Details in das Gesamtkunstwerk zeugt vom Können und von der Erfahrung der Erbauer, so Ognew.
Bei der Betrachtung der altmoskauer Baukunst kommt man nicht umhin, sich mit der Ausschmückung des Innenraumes auseinanderzusetzen. Da genaue Angaben zur Bauzeit fehlen, kann man darüber streiten, ob die Mariä-Entschlafens-Kathedrale das älteste der erhaltenen Baudenkmale im Gebiet Moskau ist. Es ist aber nicht zu bestreiten, dass die Kirche die ältesten Wandmalereien der Region beherbergt, die als ihre kostbarsten Schätze gelten können. Nach der Meinung der meisten Kunsthistoriker stammen die erhaltenen Freskenkompositionen, die in der gleichen Zeit wie die Kirche entstanden, von Andrej Rubljow, dem berühmtesten russischen Ikonenmaler, der 1988 für sein gottinspiriertes Schaffen heiliggesprochen wurde. Als Würdigung seiner Perfektion wurde das Werk des Künstlers von der Kirche für „Theologie in Farben“ erklärt. In Swenigorod entstanden die Meisterwerke, mit denen der Künstler berühmt wurde.
Unter Forschern waren die Fresken Rubljows aus der Mariä-Entschlafens-Kathedrale, die sich an den Ostkanten der Säulen der Ikonostase befanden, seit dem 19. Jahrhundert bekannt. Es handelt sich um zwei Kompositionen im unteren Teil der Säulen, „Die Engelserscheinung des Hl. Pachomius des Großen“ sowie „Das Gespräch des Prinzen Josaphat mit dem Hl. Barlaam“. In der letzteren Freske, die einen jungen Prinzen darstellt, der den Belehrungen eines grauhaarigen alten Mannes gespannt zuhört, sahen viele eine Anspielung an die geistige Beziehung zwischen dem Fürsten Juri und seinem geistigen Vater, dem Heiligen Sawwa. Diese ursprünglich von der Ikonostase verdeckten Fresken wurden 1847 zum ersten Mal schriftlich erwähnt. Wenn die Ikonen der lokalen Reihe der Ikonostase zu den Seitentüren verschoben wurden, kamen die mittelalterlichen Fresken zum Vorschein; sechzig Jahre lang konnten die Forscher aber nur davon träumen, die weiter oben gemalten Bilder zu sehen. Der Wunsch, sämtliche Fresken auf den Säulen der Ikonostase zu betrachten, wurde im Herbst 1918 erfüllt, nachdem die Mitglieder des Ausschusses für den Erhalt und die Freilegung altrussischer Malerei unter Leitung des berühmten Malers und Kunsthistorikers Igor Grabar die Ikonostase auseinandergenommen und wieder so aufgebaut hatten, dass die Fresken nunmehr für alle Besucher der Kirche sichtbar waren. Damals wurde die alte Malerei zum ersten Mal restauriert. Seitdem kamen zu den bereits bekannten Fresken Bilder von Triumphkreuzen und die Darstellung der Märtyrer Florus und Laurus hinzu. Nach Auffassung der Kunsthistoriker sollte das letztere Bildnis an Gottes Hilfe bei der siegreichen Schlacht am Schnepfenfeld 1380 erinnern, denn der Heilige Sergius sprach dem Fürsten Dmitri der Überlieferung zufolge am Gedenktag dieser Heiligen den Segen für den Kampf aus.
Von 1969 bis 1972 beseitigte eine Gruppe von Restauratoren unter Leitung von Viktor Filatow neuere Schichten der Bemalung und legte so Reste von mittelalterlichen Bildern frei. An Zwischenwänden der Trommel wurden Bildnisse der heiligen Patriarchen und Propheten freigelegt, die Zwickeln schmückten Bilder der heiligen Evangelisten, an der Nordwand befand sich ein kleiner Ausschnitt aus der Szene der Entschlafung Mariens und der Opfertisch war mit Darstellungen aus der Vita Johannes des Täufers geschmückt.
Leider wurde der Großteil der ursprünglichen Fresken der Kirche im 18. Jahrhundert entfernt, nachdem sich der Zustand der Bilder katastrophal verschlechtert hatte und sie nach einer langen Zeit ohne Restauration stark verblichen oder dunkel geworden waren. Die Zeitgenossen, die sich des künstlerischen Werts der Fresken nicht bewusst und der Restaurationskunstgriffe nicht mächtig waren, konnten keine andere Möglichkeit finden, die Kirche zu erneuern, als den alten, abstehenden Putz abzuschlagen und die Kirche neu zu verputzen und zu bemalen. 1986 wurden bei Ausgrabungen auf dem Kirchengelände Scherben abgeschlagener Fresken im Boden gefunden. Heute befinden sie sich in der Sammlung des Museums von Swenigorod. 2001 wurden die besten Fragmente von Olga Lelekowa, einer Mitarbeiterin des Staatlichen Forschungsinstituts für Restauration, untersucht. Nach Meinung der Forscherin lassen sich die Fragmente, die von einem außergewöhnlichen Können der Künstler zeugen, schwer mit anderen russischen Wandbildern vergleichen. Im Hinblick auf die Perfektion der Technik, die Auswahl der eingesetzten Stoffe und die meisterhafte Ausführung weisen die Fresken mehr Ähnlichkeiten zu der Temperamalerei auf und knüpfen an die Farbschicht der Buchminiaturen in den schönsten Manuskripten des 15. Jahrhunderts an, so Lelekowa.
Aus der Mariä-Entschlafens-Kathedrale von Swenigorod stammen auch die drei weltberühmten Ikonen, die von Experten einmütig Andrej Rubljow zugeschrieben werden, „Der Erlöser“, „Der Erzengel Michael“ und „Apostel Paulus“, die sogenannte Swenigorod-Reihe. Heute gehören sie zu den wertvollsten Ausstellungsstücken der Tretjakow-Galerie. Die Ikonen, die millionenfach vervielfältigt wurden, gelten zu Recht als herausragende Kunstwerke. Wahrscheinlich wird nie eindeutig geklärt, für welche Kirche diese Heiligenbilder angefertigt wurden, allerdings befanden sie sich Ende des 17. Jahrhunderts einer zeitgenössischen Quelle zufolge mit weiteren Ikonen dieser Reihe in der Mariä-Entschlafens-Kathedrale. Heute wird die vierte Ikone der Reihe, das Bildnis des Propheten Johannes des Täufers, in der Kathedrale aufbewahrt. Es ist nachgewiesen, dass hier gleiches Holz und gleiches Gewebe wie bei den Ikonen der Tretjakow-Galerie eingesetzt wurden, die Malerei des 15. Jahrhunderts ist aber leider nicht erhalten, da die Gewebeschicht im 18. Jahrhundert entfernt und die Ikone neu bemalt wurde.
Auch nachdem Swenigorod Moskau unterstellt wurde, büßte die Mariä-Entschlafens-Kathedrale ihren Stellenwert als bedeutendste Kirche des Teilfürstentums und später des Bezirks von Swenigorod nicht ein. Quellen zeugen davon, dass die lange Geschichte des Gotteshauses und seine historische Rolle stets geachtet wurden. So besaß die Kirche den Status einer Kathedrale und verfügte im Vergleich zu anderen Kirchen über größere Ländereien, welche im 18. Jahrhundert im Unterschied zu anderen Kirchenbesitztümern nicht säkularisiert wurden; die Vorsteher der Kirche hatten häufig das Erzpriesteramt inne und leiteten den Kirchenkreis der Stadt. Andererseits war die Kirchengemeinde klein, da sich der Mittelpunkt von Swenigorod weg von der alten Festung verlagerte und die Kirche nunmehr abseits von dichtbesiedelten Stadtteilen und von dem neuen Handels- und Gewerbezentrum der Stadt lag, während auf dem Festungshügel in der Nähe der Kathedrale im 19. Jahrhundert nur Amtsträger lebten. Allerdings konnte die Kirche gerade dank dieser Umstände ihre ursprüngliche Gestalt weitgehend bewahren.
Mehrmals drohte dem historischen Bauwerk die Zerstörung. Die Kirche überstand aber sowohl die polnische Intervention des 17. Jahrhunderts als auch den Einmarsch der napoleonischen Armee von 1812. Mitte des 19. Jahrhunderts beschlossen jedoch die Stadtbewohner selbst, die Kirche niederzureißen und auf dem Festungshügel stattdessen eine neue Kirche zu Ehren des rechtgläubigen Fürsten Alexander Newskis zu errichten. Nur nach einer Fürbitte des Zaren Alexander II. konnte die Kathedrale gerettet werden.
Zu Sowjetzeiten teilte die Mariä-Entschlafens-Kathedrale das Los der meisten russischen Kirchen. Mitte der 1930er Jahre wurde die Kirche geschlossen, und 1936 plante die Regierung, die Kathedrale zu zerstören, um an deren Stelle ein Stadion zu bauen. Zum Schutz des Baudenkmals erhoben sich Vertreter der Wissenschaft und Kultur.
Wie durch ein Wunder überlebte das Bauwerk auch die Zeit des Zweiten Weltkrieges, in der die Vorbilder der Kathedrale, die Kirchen von Smolensk und Nowgorod, stark beschädigt wurden. Die Front rückte nie bis nach Swenigorod vor, und nach Kriegsende geschah ein weiteres Wunder, als die Kirche im April 1946 der gläubigen Gemeinde übergeben wurde. Von da an und bis zum Beginn der 1990er Jahre hatte die Kathedrale eine besondere Bedeutung als eines der wenigen Gotteshäuser, in denen Gottesdienste abgehalten wurden. Dies bestimmte die Rolle der Kirche auch im folgenden Jahrzehnt. Nach der politischen Wende und der Durchsetzung der Glaubensfreiheit wirkte die Gemeinde unter Leitung des Archimandriten Ieronim (Karpow), der seit September 1984 das Amt des Kirchenvorstehers innehatte, aktiv an der Eröffnung und Weihe von Kirchen in der Umgebung mit. Per Erlass des Patriarchen Alexi II. vom 06.03.1995 wurde Ieronim zum ersten Prior des neugegründeten Sawwa-Storoschewski-Klosters ernannt, während die Kathedrale in den Klosterkomplex integriert wurde.
Die Kathedrale überlebte nicht nur als Baudenkmal, sondern half auch, wertvolle Sakralgegenstände von Swenigorod von der Zerstörung zu bewahren. Dazu gehört vor allem die aus dem späten 19. Jahrhundert stammende Ikonostase der Kirche. In der Fachliteratur wird sie selten erwähnt oder, in Anlehnung an die erste Publikation zur Kathedrale von 1847, als „fünfreihige Ikonostase von mittelmäßigem Wert“ bezeichnet. Diese Bewertung trifft jedoch nur auf die obere, später aufgetragene Malschicht der Ikonen zu. 1998 wurde diese Schicht bei einer Restaurierung des Großteils der Ikonostase entfernt, so dass heute die prächtige Malerei des 17. Jahrhunderts für Besucher sichtbar ist.
Neben der zentralen Ikone beherbergt die Mariä-Entschlafens-Kathedrale, die früher auch als „Haus der Heiligen Jungfrau“ bezeichnet wurde, mehrere verehrte Marienbilder: die Gottesmutter von Kasan aus dem 17. Jahrhundert, die Gottesmutter von Tolga aus dem 18. Jahrhundert und die Gottesmutter des Kiewer Bratski-Klosters aus dem 19.-20. Jahrhundert.
Die Kiewer-Bratski-Ikone stammt aus der Dreifaltigkeitskirche aus dem Dorf Kosino bei Swenigorod. Nachdem die Kirche geschlossen und in den 1930er Jahren zerstört wurde, befand sich die Ikone im Besitz von Jewdokia Babakina, einer Einwohnerin von Swenigorod. In ihrem Haus beteten auch andere Stadtbewohner vor der Ikone. Sofort nach der Wiedereröffnung der Mariä-Entschlafens-Kathedrale im Jahre 1946 brachte Frau Babakina die Ikone in diese Kirche. Das Bild wird in Swenigorod als wundertätig verehrt. Dem Volksglauben zufolge sind der Ikone nicht nur zahlreiche Heilungen und Erfüllung von Wünschen zu verdanken, sondern auch die Rettung der Stadt im Zweiten Weltkrieg. Nach der Überlieferung wurde die Ikone durch die Straßen von Swenigorod getragen, als die nationalsozialistische Armee vor der Stadt stand.
In der Kirche wurde auch das Bildnis des Heiligen Sergius von Radonesch und des Heiligen Sawwa Storoschewski, die das Sawwa-Storoschewski-Kloster aus dem Kloster der Dreifaltigkeit und des Heiligen Sergius zum 500-jährigen Jubiläum erhalten hatte, behutsam aufbewahrt. Nach der Renovierung des Sawwa-Klosters 1995 wurde die Ikone wieder dorthin übergeben. Erhalten ist auch eine Tuchikone mit dem Bild des Heiligen Sawwa Storoschewski. Ende der 1980er Jahre überreichte Archimandrit Jewlogi, damals Prior des Klosters des Heiligen Daniels in Moskau, heute Erzbischof von Wladimir und Susdal, einen Teil der Gebeine des Heiligen Sawwa an Ieronim. In der Kathedrale wurde die Reliquie auf der Tuchikone aufbewahrt. 1998 wurde das ehrenwerte Haupt des Heiligen aus dem Daniels-Kloster an das Sawwa-Kloster zurückgegeben.
Neben den Gebeinen des Heiligen Sawwa befinden sich mehr als 150 weitere Reliquien in der Kirche. Dabei stehen die beiden Reliquienschreine in der Nähe des anderen kostbaren Schatzes der Kirche, der Fresken Andrej Rubljows.
In den Jahren 2001 und 2002 wurde in der Nähe der alten Mariä-Entschlafens-Kathedrale die Epiphanien-Kirche wieder aufgebaut. Ursprünglich stand an der Stelle eine 1893 erbaute Holzkirche, die in den 1920er Jahren niedergebrannt wurde. Der Wiederaufbau der Kirche war dank Spenden möglich und diente einerseits der Entlastung der historischen Kathedrale und andererseits dem Sakrament der Taufe. Die letztere Funktion sollte wahrscheinlich auch die hölzerne Vorgängerkirche im 19. Jahrhundert erfüllen, da sie als Epiphanien-Kirche geweiht wurde.
Die Mariä-Entschlafens-Kathedrale wurde bisher noch nicht grundlegend restauriert. Eine Restauration wird benötigt, um die ursprüngliche, durch Umbauten im 18. und 19. Jahrhundert veränderte Gestalt der Kirche wiederherzustellen. Dabei sollte bei archäologischen Arbeiten auf dem Kirchengelände die Kulturschicht abgetragen und der Grund gepflastert werden, des Weiteren sollten die Fenster restauriert und gegebenenfalls die Abdeckung der Sakomaren-Giebel mit drei Kokoschnik-Reihen in ursprünglicher Gestalt aufgebaut werden.
Doch nicht nur die Kathedrale ist schutzbedürftig. Kirchliche und staatliche Schutzmaßnahmen sollten sich auch auf die Festung von Swenigorod erstrecken, die bis heute überleben konnte und nun durch menschliche Gedankenlosigkeit zugrundegehen kann. Im Winter tummeln sich große Mengen von Schlitten- und Skifahrern auf dem Hügel, im Frühjahr wird trockenes Gras am Abhang verbrannt. Im Sommer kann man häufig Jogger auf dem Schutzwall beobachten. Auch motorisierte Extremsportler erstürmen die steilen Wälle mit dem Auto. Viele Einwohner von Swenigorod untergraben den Hang, um Sand zu gewinnen. All das führt unvermeidlich zum Abrutschen der Hänge und somit zur endgültigen Zerstörung des Baudenkmals. Außerdem ziehen die Festung und deren Umgebung viele Touristen an, die häufig beim Picknick Feuer legen und danach Berge von Müll hinterlassen. Manchmal werden Abfälle gezielt per Lastwagen in den Gräben deponiert. Eine Gefahr stellen auch Versuche dar, unbebaute Flächen zu privatisieren. Des Weiterein muss die Bepflanzung des Hügels gepflegt werden, da die Festung heute wegen dichter, fast undurchdringlicher Sträucher und gestürzter Bäume schwer begehbar ist.
Im Laufe des 20. Jahrhunderts wurde die Festung mehrmals per Verordnung zu einem Schutzgebiet erklärt. Ein wirksamer Schutz ist aber nur zu garantieren, wenn der Status nicht nur auf Papier besteht, sondern wenn Personal für die Bewachung und Pflege des Geländes freigestellt wird.
Wenn demnächst keine drastischen Maßnahmen ergriffen werden, um eine staatliche Kultureinrichtung mit dem Erhalt der Festung, die als Denkmal unter föderalem Schutz steht, zu beauftragen, so werden wir Zeugen einer gravierenden Kulturkatastrophe, der Zerstörung eines einzigartigen Geschichts- und Kulturdenkmals.
Die Festung von Swenigorod und die einzigartige Mariä-Entschlafens-Kathedrale auf deren Gelände müssen als Beispiel eines respektvollen und schonenden Umgangs durch Bürger dienen. In diesem Fall können Vertreter der Kirche und Museumspädagogen das große Potential der Festung für Jugendarbeit ausschöpfen. An diesem Ort können Jugendliche die Geschichte und die Kunst der „Russischen Renaissance“ erschließen und das Schaffen der bedeutenden Akteure dieser Zeit, der Fürsten Dmitri Donskoi und Juri Swenigorodski, der Heiligen Sergius von Radonesch, Sawwa Storoschewski und Andrej Rubljow, hautnah erleben.
Denkmale werden geschaffen, um an das Gedächtnis zu appellieren. Eine Nation, die sich nicht an ihre Vergangenheit erinnert und kein historisches Gedächtnis besitzt, hat auch keine Zukunft.